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August-Rosterg
August Rosterg (1870 – 1945) Verdienstvoller Industrieller mit belasteter Biografie
Die Gemeindevertretung hat sich im Herbst 2024 eingehend mit der Person August Rostergs auseinandergesetzt. Nach ihm ist eine Straße im Ortskern unserer Gemeinde Neuhof benannt. Im Ergebnis entschied sich die Gemeindevertretung, die Straße trotz zahlreicher belastender Aspekte in der Biografie des Industriellen nicht umzubenennen, die problematischen Seiten seines unternehmerischen Wirkens aber ausführlich bewusst zu machen. Auf diese Weise wird die August-Rosterg-Straße Teil einer lebendigen örtlichen Erinnerungskultur, die sich Demokratie, Toleranz und Offenheit verpflichtet fühlt.
Im Jahr 1870 als zehntes von dreizehn Kindern geboren, gelang August Rosterg der Aufstieg aus einer Bergmannsfamilie an die Spitze eines großen deutschen Bergbaukonzerns. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete er zunächst als Bergmann, absolvierte dann verschiedene Schulen und schließlich auch die Bergbauakademie in Clausthal-Zellerfeld. 1898 erhielt der Ingenieur eine Anstellung als Betriebsführer bei der Kali-Bohrgesellschaft Wintershall, wo er sich besonders um die Erschließung der Kaligrube Grimberg bei Heringen/ Werra verdient machte. Bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs stieg er zum Generaldirektor des Kalibergwerks auf (seit 1918 auf Lebenszeit).
In den 1920er-Jahren baute Rosterg das Unternehmen zu einem verzweigten Konzern um, unter anderem durch die Angliederung von mehr als 150 weiteren Bergwerken. Zusammen mit der damaligen Dresdner Bank gründete Rosterg 1921 die „Kali-Industrie-AG“ Kassel, eine Finanzierungs- und Holdinggesellschaft, aus der 1929 die Wintershall AG wurde. Sie hatte eine führende Rolle im Kalisyndikat und erschloss sich darüber hinaus seit 1931 mit der Förderung heimischen Erdgases und Erdöls ein weiteres Geschäftsfeld. Wintershall entwickelte sich in den Folgejahren zu einem vertikal gegliederten Konzern, der die Stufen von der Gewinnung des Rohstoffs bis zu dessen Verarbeitung einschloss. Neben dem Industriellen Günther Quandt war Rosterg als Generaldirektor auch maßgeblicher Anteilseigner bei Wintershall. Bis zu seinem Tod besaß er mehr als 50 Prozent des Aktienkapitals.
Schon früh unterstützte Rosterg die Politik der Nationalsozialisten. 1931 war er einer derjenigen, die Hitler für den Fall eines Linksputsches 25 Millionen Reichsmark in Aussicht stellten. 1932 trat Rosterg dem Keppler-Kreis bei (ab 1933: Freundeskreis Reichsführer SS). Dieser hatte sich zum Ziel gesetzt, Hitler in wirtschaftlichen Fragen zu beraten. Im November des gleichen Jahres gehörte Rosterg zu den Unterzeichnern einer Eingabe aus der Wirtschaft, die Reichspräsident Hindenburg aufforderte, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Mitglied der NSDAP war Rosterg nach den vorliegenden Informationen nicht.
Nach der Machtergreifung kam es am 20. Februar 1933 zu einem Geheimtreffen Hitlers mit 26 Industriellen und Wirtschaftsführern, darunter auch August Rosterg. Der neue Reichskanzler schwor die Teilnehmer dabei auf die nationalsozialistische Politik sowie eine inhaltliche und finanzielle Unterstützung der NSDAP bei den anstehenden Reichstagswahlen am 5. März 1933 ein. Als Mitglied des Freundeskreis Reichsführer SS (s. o.) versuchte August Rosterg auch in den Folgejahren, auf die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik Einfluss zu nehmen. Aus den Reihen des Freundeskreises flossen zwischen 1935 und 1944 jährlich etwa 1 Millionen Reichsmark an Heinrich Himmler. Zu den Mitgliedern des Freundeskreises, die Himmler später in den Rang eines SS-Ehrenführers erhob, gehörte August Rosterg nicht.
Wie viele deutsche Unternehmen profitierte auch die Wintershall AG von Aufrüstung, Kriegswirtschaft, „Arisierung“ und Judenverfolgung sowie von der Arbeit von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen. August Rosterg war Aufsichtsratsmitglied bei der im Jahr 1941 gegründeten Kontinentale Öl AG zur Ausbeutung von Erdölquellen in der Sowjetunion. 1944 setzte er sich nach Schweden ab. Dort starb er am 13. November 1945 in einem Stockholmer Krankenhaus.
Ingo Köhler, Leiter des Hessischen Wirtschaftsarchivs, über August Rosterg: „Er war ein autoritärer Patriarch und im Kern konservativer Unternehmer. Die Weimarer Republik lehnte Rosterg ab, da er die Wirtschaftspolitik zu sehr von der politischen Linken und starken Gewerkschaften geprägt sah, die mit ihren übertriebenen Lohn- und Arbeitszeitforderungen den Erfolg seines Unternehmens bedrohen würden. Der Generaldirektor wünschte sich einen starken Staat, der das deutsche Kalisyndikat gegenüber ausländischen Wettbewerbern schützen, den Firmen zugleich möglichst große Handlungsfreiheiten zusichern sollte.
Es waren diese reaktionären, antidemokratischen Überzeugungen, gepaart mit geschäftlichem Opportunismus, die Rosterg motivierten, die Nationalsozialisten schon seit 1931 auf ihrem Weg zur Machterlangung zu unterstützen. … Dabei war sein Verhalten weniger durch eine ideologische Nähe zu den Regimezielen als vielmehr vom schlichten Pragmatismus geprägt, geschäftlich von der Kriegswirtschaft und den Autarkieplänen zu profitieren. So geriet er bei dem Versuch, die innere Organisation des Konzerns vor dem Einfluss von DAF¹Kopiert-Funktionären und Parteibuchkarrieristen frei zu halten, durchaus auch in Konflikte zur NS-Parteibasis. Seine Taktik, sich durch finanzielle Begünstigungen geschäftliche und politische Protektion zu erkaufen, ging letztlich kaum auf. …
Die Mischung aus Distanz und Nähe zum Regime zeigt sich auch bei der Mitwirkung von Wintershall bei der Verdrängung jüdischer Unternehmer aus der deutschen Wirtschaft. In den eigenen Gremien hielt Wintershall noch bis Sommer 1935, d. h. im Vergleich zu anderen Branchenunternehmen recht lange, an jüdischen Mandatsträgern fest, mit denen Rosterg seit langem geschäftliche und persönliche Beziehungen pflegte. Erst als der politische Druck zu groß wurde und geschäftliche Sanktionen drohten, wurde die Demission umgesetzt …“²
Mit seinem technischen und wirtschaftlichen Sachverstand legte August Rosterg in der deutschen Kaliindustrie Fundamente, die bis heute die Basis sind für wirtschaftlichen Wohlstand der verbliebenen Standortgemeinden, etwa unserer Gemeinde Neuhof. Zugleich unterstützte er die Nationalsozialisten aus antidemokratischer Überzeugung. Beispielhaft steht er für die Zusammenarbeit mit einem totalitären, menschenverachtenden Regime. Sein Verhalten mag in erster Linie davon geprägt gewesen zu sein, geschäftlich von der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft zu profitieren. Als Mitwisser und Förderer des NS-Systems verstrickte sich August Rosterg mit dem Wintershall-Konzern allerdings tief in die Strukturen von Raub, Enteignung und Verfolgung.
¹ Deutsche Arbeitsfront; in der Zeit des Nationalsozialismus der Einheitsverband der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die DAF wurde am 10. Mai 1933 nach Zerschlagung der freien Gewerkschaften gegründet.
² https://wintershalldea.com/de/wer-wir-sind/historie/apl-prof-dr-ingo-koehler-zu-wintershall